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– Wie Achtsamkeit in Schule wirken kann –

Seit einigen Jahren wird der Wandlungsprozess unserer Zeit immer deutlicher. Wir betreten mehr und mehr das neue Jahrhundert, welches durch eine hohe Geschwindigkeit, Diversität und Globalität, permanenter Erreichbarkeit dank neuer Kommunikationskultur und der Entstehung und Nutzung neuer, virtueller Räume gekennzeichnet ist.

Die damit einhergehende neue Herausforderung unserer Zeit ist nicht das Mithalten beim „Höher-schneller-weiter-Wettbewerb“. In meinen Augen liegt die Herausforderung unserer Zeit in der Entwicklung einer zeitgemäßen Ethik, die Mensch befähigt, die verbleibenden materiellen Ressourcen zu schützen und mit Hilfe des Wissens um die eigenen, individuellen Ressourcen Kompetenzen zu kultivieren, die den oben genannten Anforderungen gerecht werden.

Die menschlichen Fähigkeiten wie Vorurteilslosigkeit, Akzeptanz, Geduld und Mitgefühl tragen zu einer bewussten Lebensführung bei, die die Gegenwart im beginnenden Technologiezeitalter lebens- und liebenswert machen.

Die seit den 90er Jahren auf Wissenschaft basierende, in Schule recht junge Disziplin des Achtsamkeitstraining kann dazu einen weitreichenden Beitrag leisten.

1 – Der Anfang liegt in uns & jedem Anfang liegt ein Zauber inne

Es gibt bereits viele Programme und Apps, die einen achtsamen Unterricht ermöglichen. Die Anwendung dieser ist in Maßen sicherlich wirkungsvoll, spielt teilweise jedoch wieder in alte Denkstrukturen und Muster. Bei einem achtsamen Umgang mit mir selbst, meiner Mitwelt und der Gesellschaft in der ich lebe, geht es eben nicht darum in die Anwenderrolle zu schlüpfen und dem nächsten Trend nachzujagen. Es geht vielmehr darum, sich einem organischen Prozess anzuvertrauen, der mit der persönlichen Entwicklung beginnt und sich durch tiefes Interesse und Offenheit weiterverbreitet. Dieses Zutrauen in sich selbst und das damit einhergehende Verantwortlich-Sein birgt eine enorme Wandlungskraft in sich.

Gelingt es uns Erwachsenen, damit zu beginnen:

  • gut für uns selbst zu sorgen,
  • den Mut zu entwickeln, die z.T. chaotischen Wirrungen unseres Gehirns zu betrachten &
  • der Traurigkeit in unserem Herzen ins Auge zu blicken,

erkennen wir zeitnah sozial-emotionale Herausforderungen und können achtsamkeitsbasierte Methoden anwenden, die uns zurück zu einem Gefühl von Ruhe, Zufriedenheit und Präsenz führen.

Leben Erwachsene die drei Grundvoraussetzungen, die der Neuropsychologe Dr. Rick Hanson für ein friedfertiges Miteinander benennt, erschaffen wir durch das Kultivieren der fünf Achtsamkeitskompetenzen die Gefühle von Sicherheit, Versorgt-sein und Verbundenheit und stärken damit die neuronalen Netzwerke, die für die sozial-emotionalen und sozial-kognitiven Fertigkeiten verantwortlich sind, auch bei den uns anvertrauten jungen Menschen.

Gerade im schulischen Kontext wirkt diese Fähigkeit in die Umgebung. Schaffen wir ein Vorbild für die Lernenden, indem es gelingt in herausfordernden Situationen Abstand zu gewinnen, die momentane Dynamik und uns selbst zu entschleunigen und mit aufwühlenden Gefühlen, die im Körper aufsteigen, Frieden zu schließen. Verdeutlichen wir selbst, die Kraft und Wirkung des kurzen Innehaltens und die Zuwendung zur eigenen inneren Welt, um in friedvoller Präsenz aktiv und konstruktiv zu agieren, auch wenn die gegenwärtige Wetterlage stürmisch ist.

2 – Das notwendige ABI (achtsamkeitbasierte Intervention) unserer Zeit

Achtsamkeitsbasierte Angebote werden in den USA seit 2001 und später in Europa etwa seit 2008 vereinzelt in Schule umgesetzt. Die Effekte von Achtsamkeitsübungen bei Kindern und Jugendlichen werden seit kurzem auch in der Forschung berücksichtigt. Die Ergebnisse sind erfreulich. Die steigende Akzeptanz bei Lehrkräften und Lernenden sind wohl möglich auf die Auswirkungen von Achtsamkeit auf das eigenen Wohlbefinden, die Entwicklung von Resilienz, die Stärkung der sozial-emotionalen Kompetenz und größere Lernerfolge zurückzuführen. Neben der psychischen Gesundheit profitiert auch die körperliche Gesundheit von Lehrkräften und Lernenden stark von achtsamkeitsbasierten Übungen, da die Schlafqualität verbessert wird und es zur Stressreduktion durch kluges Coping kommt.

Fortbildungsangebote für Lehrkräfte fördern somit nicht nur die individuelle Gesundheit, sondern auch die Gesundheit des gesamten Schulsystems, ja des Lebens. Die pädagogische Haltung und das professionelle Selbstverständnis von Lehrenden wird nicht nur durch das Vermitteln fachlicher Inhalte gestützt, sondern vielmehr durch echte Begegnungen sowohl im Kollegium als auch mit den Lernenden. Das Gemeinsame wird im gegenwärtigen Moment gestärkt und positiv beeinflusst. Dem eigenen Berufsbild mit Offenheit und Neugier zu begegnen, weil eine Haltung des Lebensforschen erweckt wird und eine wohl möglich entstandene Starre des Wissenden durch das Leben selbst aufgebrochen wird, unterstützt zudem die Anwendung innovativer Lehr- und Lernformen.

Die Vermittlung der fünf Achtsamkeitskompetenzen gehört zu diesem innovativen Repertoire. Sie befassen sich mit den Bereichen des Körpers, des Geistes, des Herzens, der Gesellschaft und der Ökologie.

3 – Fünf Schritte zum erfolgreichen Lernen in der neuen Zeit

Die Körperkompetenz macht den Anfang und legt die Grundsteine für alle weiteren Kompetenzen. Aufmerksamkeit ist in der heutigen Zeit die größte Währung. Wenn es Lehrkräften gelingt, den jungen Menschen zu vermitteln, wie sie ihre eigene Aufmerksamkeit bei sich und ihren Ideen halten können, werden gelingende Lernprozesse entstehen. Hierzu gehört, dass nicht nur die reine körperliche Anwesenheit der Schüler und Schülerinnen wahrgenommen und von den Lehrkräften abgebildet werden sollte, vielmehr sollte das tatsächliche Präsent-sein jedes Einzelnen gefördert werden.

Es kommt einer kognitiven Aktivierung gleich, nur dass sich die Aktivierung zunächst auf die eigenen Körperempfindungen gerichtet wird. Es ermöglicht die Entspannung des Körpers und ist dabei behilflich die körperlichen Grundbedürfnisse wie das Sicherheitsgefühl und das Gefühl von Verbundenheit zu stärken. „Körperkompetenzübungen wecken unsere Sinne und fördern das Gefühl der Verbundenheit mit unserem Körper und der physischen Welt.“1

Unsere physischen Empfindungen sind vielfältig. Eine Auseinandersetzung mit der Landkarte dieser Körperempfindungen, legt den Grundstein für konzentriertes und aufmerksames und glückliches Lernen. Das bewusste körperliche Erleben trägt immanent dazu bei, das Nervensystem zu beruhigen und Erfahrenes im gegenwärtigen Augenblick bewusst zu verankern.

Zudem hilft das grundlegende Körperbewusstsein bei der Regulierung starker emotionaler Empfindungen. Es stärkt die Selbstwahrnehmung. Durch die Hinwendung zum Körper gelingt es Abstand von angsterfüllten Gedanken, angespannten Gefühlen oder unangenehmen Situationen zu nehmen. Es kommt einer Selbstermächtigung gleich, die durch die Wahrnehmung z.B. des eigenen Atems in einen friedvollen Zustand führt. Die Verbundenheit mit dem Körper schenkt Gewissheit, Geborgenheit und Glück.

Den zweiten Schritt bildet die geistige Kompetenz. Sobald der Moment bewusst erlebt wird und das Körpergewahrsein aktiviert ist, können wir Aufmerksamkeit entwickeln. Wir begegnen der Widerspenstigkeit unseres Geistes, der sich gern ablenken lässt und wie ein kleines Äffchen von Ast zu Ast springt. Mit dem wertfreien Beobachten dessen Tätigkeit, z.B. durch das bewusste Essen eines Apfels oder einer Orange, wird die Funktionsweise des Geistes kennengelernt. Das konkrete Ausrichten auf die Sinneswahrnehmung beim Essen, trainiert die Fähigkeit der Aufmerksamkeitsfokussierung. Der Fokus-Muskel erfährt eine mentale Stärkung und es gelingt, dank der höheren Konzentrationsfähigkeit scheinbar langweilige Erfahrungen wertzuschätzen und zu etwas besonderen werden zu lassen.

Neben der Steigerung der Leistungsfähigkeit durch mehr Konzentration kann auch das Selbstvertrauen intensiviert werden. Der Entdeckung immer gleicher negativer Gedankenmuster kann jetzt bewusst entgegengewirkt werden. Kinder und Jugendliche lernen, dass diese wie Wolken vorbeiziehen und es keinen Grund gibt an ihnen festzuhalten. Vielmehr können Schüler und Schülerinnen unter Anleitung lernen, dem alltäglichen Chaos im Kopf oder im Klassenzimmer zu begegnen und daran ihre geistige Reife zu erforschen. Die erlernte Kunst der Introspektive führt mit großen Schritten zu den eigenen Ressourcen und Stärken und so zu einem glücklichen Lebensweg.

Neben der geistigen Kompetenz spielt auch die emotionale Kompetenz eine große Rolle bei der Selbstregulation. Die Sprache des Herzens kann jetzt klarer erkannt werden. Durch das Aufdecken von ungesunden Denkstrukturen, ist der darunter liegende emotionale Zustand zu erkennen. Mit den richtigen Instrumenten zur Körperwahrnehmung wird das Aufsteigen starker Emotionen erlebbarer und kann so zeitnah reguliert werden. Die Impulskontrolle gelingt durch die Anwendung von sinn-vollen Körperübungen, die zum Beispiel mit Hilfe eines Körpertagebuchs* gestärkt und eingeübt werden können. Die daraus resultierende Emotionsregulation bietet anschließend die Möglichkeit gesunde Emotionen zu kultivieren. Es kann gelernt werden, den eigenen Herzens-Speicher zu füllen. Durch das kontinuierliche Nähren gesunder Emotionen wie Dankbarkeit, Mitgefühl und Liebe auch für sich selbst ist Raum für das gesamte Spektrum der Emotionen vorhanden. Wut und Ärger werden urteilsfrei angenommen, sie dürfen präsent sein und betrachtet werden, um ein Verstehen zu initiieren. Diese Art des Umgangs mit sogenannten schwierigen Emotionen hat eine besondere Zufriedenheit, Selbstmitgefühl und Dankbarkeit zur Folge, was wiederum zu einer Reduktion schwieriger Emotionen führt. Zudem wird Mensch dazu befähigt, sein Herz zu öffnen und mitfühlender mit sich selbst und der Umgebung umzugehen. Was eine höhere soziale Kompetenz bewirkt.

Die soziale Kompetenz ist dadurch gekennzeichnet, dass es immer mehr gelingt, nicht nur Mitgefühl für Freunde und Familie zu entwickeln, sondern auch für Menschen, die eher als anstrengend wahrgenommen werden. Achtsamkeit kann dazu genutzt werden, um die eigenen Annahmen zu hinterfragen und andere Perspektiven einzunehmen. Mit der Entwicklung der vorherigen drei Achtsamkeitskompetenzen wird eine Präsenz erlangt, die dazu befähigt, sich auf die Menschen und momentanen Geschehnisse in der Umgebung einzustimmen. Wir erkennen zeitnah Werturteile über andere, die Überbleibsel der gesamtgesellschaftlichen Prägung sind. Werden diese oft toxischen Annahmen durchschaut, wird der wirkliche Mensch dahinter sichtbar und zu erkennen ist:

  • Genau wie ich, ist mein Gegenüber innerlich gerade aufgewühlt.
  • Genau wie ich, hadert mein Gegenüber mit herausfordernden Situationen.
  • Genau wie ich, fühlt sich mein Gegenüber wohler in einem ausgeglichenen Zustand.
  • Genau wie ich, möchte mein Gegenüber einfach glücklich sein.

Gerade, wenn es sich um jüngeren Menschen handelt und das ist im Kontext Schule oftmals der Fall, spielt diese Vorbildfunktion eine immense Rolle. Bleibt das Interesse also beim eigenen Herzen, kann der friedvolle Beziehung zu sich selbst in die Umgebung wirken. Dieser vorbildliche Umgang mit einer anstrengenden Situation wird wahrgenommen und auch von dem Gegenüber erfahren. Es wird transparent, wie es ist empathisch zu sein, selbst wenn die Situation Frustration hervorruft. Dies kann ein Schlüssel zum Verständnis und Mitgefühl sein und ermöglichen insgesamt unvoreingenommener, gelassener und liebevoller in das Leben zu blicken und dadurch leichter Gleichberechtigung und Partizipation zuzulassen.

Die daraus resultierenden mitfühlenden Beziehungen müssen nicht auf die direkte Umgebung beschränkt sein. Die globale Kompetenz ermöglicht den Bezug auf das gesamte Leben. Wenn erst die Herzenskraft entwickelt und es erreicht ist, den jetzigen Moment mit allen Ursachen und Wirkungen zu erfassen, kann die Vernetzung aller Dinge anerkannt werden. Zudem wird deutlich, dass das eigene Handeln die Welt beeinflusst. Die Erkenntnis darüber, dass nicht nur die direkte Umgebung auf die mentale und emotionale Stimmung und den Körper einwirkt, lässt uns das Gefühl der Verbundenheit und Zusammenhänge verstehen und so zu achtsamen Mitgestaltenden der Welt werden.

Das Praktizieren von Achtsamkeit ist demnach der Schlüssel, nicht um sich dem Chaos der Welt zu entziehen und dadurch Stressreduktion zu erfahren, sondern vielmehr um einen inneren Raum für Lernprozesse zu schaffen. Gelingt es der direkten Umgebung mit offenem Herzen und offenen Geist zu begegnen, kann mehr Inter-esse für die große Welt aufgebracht und so positive Effekte geschaffen werden, um Lebens- und Glücksforscher*in zu werden.

1Vgl. Daniel Rechtschaffen:Die achtsame Schule – Leicht anwendbare Anleitung für die Vermittlung von Achtsamkeit – Praxisbuch; 2.Auflage 2022, Arbor Verlag Freiburg im Breisgau

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