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Glücksbringend in der digitalen Welt

— Glücksbringend in der digitalen Welt —

Spätestens mit dem Erleben der Corona-Krise und dem einhergehenden Einrichten in den digitalen Wohnzimmern ist Mensch im 21. Jahrhundert angekommen. Mit den schier unendlichen Möglichkeiten, die der digitale Raum bietet, finden schleichende und gleichzeitig rasante Veränderungsprozesse im analogen Miteinander statt. Dementsprechend bedarf es unsere Aufmerksamkeit.
Wie gehen wir mit uns selbst, der Gemeinschaft und der Natur um?
Das diese Frage mehr Aufmerksamkeit benötigt wird deutlich, wenn man sich die Titel der Publikationen aus den vergangenen drei bis fünf Jahre zum Themenkomplex der Digitalisierung anschaut. So ruft uns z.B. Philipp Depiereux auf mit neuem Mindset in die digitale Zukunft zu starten und zum „Weltmutführer“ zu avancieren, „denn die digitale Transformation bringt nicht nur große Herausforderungen, sie bietet auch einmalige Chancen“. Dank Dietmar Hölscher und Co-Autoren haben wir mit dem Buch „Digitale Revolution – Wie sieht unsere Zukunft aus? Wie wirst du Gewinner der radikalen Veränderung? Was wird der nächste Trend in der Produktion, Handel und Beruf? 22 Experten geben Antworten“ einen Wegbereiter in die Welt der kalten, nackten Zahlen, welche der Wortstamm „digit“ sprachetymologisch bereits vermuten lässt. Betreten wir immer schneller und leichter die weiten, nicht realen, virtuellen Räume und frönen der ökonomisierten, redaktionellen Gesellschaft, wie es bei Diana Kinnert in die „Die neue Einsamkeit – und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können“ heißt? Was wir aus all den Buchtiteln bereits ersehen können, spiegelt sich auch immer mehr in unserem Alltag wider: Die Lebensgestaltung mithilfe der beiden großen Säulen von Nähe und Distanz in zwischenmenschlichen Beziehungen, erfährt durch die Digitalisierung eine disruptive Veränderung und rührt kräftig an der Mensch-zu-Mensch-Beziehung.
Es ist ein Leichtes und ganz klar auch klimatisch betrachtet ein bestechender Vorteil, wenn Distanzen über Ozeane hinweg durch die digitale Nutzung im Arbeitskontext, also des öffentlichen Lebens in Null-Komma-Nix durch Anbieter wie Zoom oder Teams zurückgelegt werden können. Doch wie schlägt sich das Überwinden der realen Grenzen bei der Generation Z und Alpha nieder? Gelingt es den digital Natives noch eine gesunde Abstandwahrnehmung für die Ausprägung eines klaren Selbstbildes zu entwickeln, wenn sie dank YouTube und Tiktok die soziale und persönliche Distanzzone oftmals hinter sich lassen und mit ihren Influencer:innen Tisch und Bett teilen? In der analogen Welt wäre dies undenkbar.
Wer kann leben und ernsthaft in Beziehung treten beim Anspruch auf Dauerverfügbarkeit, Daueraufmerksamkeit und Dauerbeobachtung?
Gesund ist das keineswegs. So stellt die Studie der Postbank1 fest, dass unter 40-Jährige eine Online-Zeit von 65 Stunden pro Woche aufweisen. Kinnert weiß, dass es sogar die gesetzlich erlaubte 48-Stunden-Arbeits-Woche überschreitet. Da ist es kaum ein Wunder, dass Schlaflosigkeit und innere Unruhe statistisch zunehmen bei Menschen dieses Alters. Folgen davon sind bei vielen das Gefühl des Nicht-genug-sein-Könnens, keine Kraft, um Leistung und Anteilnahme aufzubringen und das schleichende Gefühl von Einsamkeit. In Zeiten hocheffektiver Unverbindlichkeit und kollektiver Vereinzelung braucht es meiner Meinung nach vermehrt sichere Orte, an denen Menschen zunächst zu sich selbst finden können, um anschließend mit ihrer Mitwelt in die Verbundenheit zu treten. Orte, an denen wieder neu gelernt werden kann, dass es okay ist, der- oder diejenige zu sein, die man ist, auch wenn man nicht immer brav an seinem vorgewiesenen Platz verharrt.

Doch: Wie gehen nun Politik, Eltern, Schulen und andere verantwortliche Einrichtungen mit diesen Veränderungen um? Das Verteufeln des mächtigen Sogs der Welt der bunten Bilder als Entwertung des Menschen zum homo oeconomicus im digitalen Antrophozän kann nicht die Lösung sein.

Es bedarf einer kontinuierlichen verantwortungsvollen Aufklärung und ethischen Auseinandersetzung mit dem digitalen Zeitalter möglichst von Kindesbeinen an. Einen schöpferischen Dialog, der zu einer „Kultur der Digitalisierung“2 führt, die mit Hilfe des gesunden Menschenverstands sinnvoll und nachhaltig gelebt wird. Die Verschmelzung von Digitalisierung und Mensch sollte mit den Kategorien, die für Beziehungen wesentlich sind:
• Zeit
• Hingabe
• Tiefe
• Aufmerksamkeit
• Mühe und Besinnung
durchwoben sein.

Dies ist wichtig, damit Heranwachsende in einer Welt des kunterbunten analogen und digitalen Daseins ihr Selbstbild kennzeichnen lernen. Prinzipien der Meinungsbildung, Offenheit, Willensfreiheit und Vielgestaltigkeit werden hierzu angewendet und vertieft.
Als Lehrerin sehe ich deutlich die Aufgabe zur Erziehung zur digitalen und vor allem emotionalen Mündigkeit in der Schule. Hauptaugenmerk sollte meiner Meinung nach auf das Erleben des Menschseins gerichtet werden.
Wie kann ich mich mit mir selbst, meiner Gemeinschaft und der Natur verbinden?
Wie gelingt es mir im Moment zu bleiben, ohne den Wunsch mich in die digitale Welt zu flüchten?
Absenz durch inneres Abschalten bzw. digitales Anschalten, oder im Gegensatz dazu die dauerhafte Produktion im Außen ohne Selbstwahrnehmung führen zu einer persönlichen Entfremdung, die dazu führen kann, dass der Aufbau der sozialen aber auch der intrapersonellen Beziehungskompetenz rudimentär gestört wird.

Soziologen wie Vivek Murthy beschreiben daraus resultierende Folgen mit Hilfe der drei Arten von Einsamkeit:

  1. Emotionale und intime Einsamkeit
  2. Soziale Einsamkeit
  3. Kollektive Einsamkeit

Schauen wir genau hin, sehen wir, dass Mensch auf dem besten Weg in die kollektive Einsamkeit ist. Vereinzelung durch Filterblasen, permanente Negativschleifen in den Medien und fehlenden echten, emotional offenen, menschlichen Begegnungen, sorgen für inneren menschlichen Rückzug. In einigen Ländern u.a. in Japan gibt es bereits einen anerkannten Ausdruck dafür: Hikikomori. Das rigorose Schulsystem, Gruppenzwang, Mobbing und eine eher rücksichtslose, durch Robotik geprägte Gesellschaft hat zu diesem Kuriosum geführt. Medizinische Auswirkungen und das Leid im Umfeld der sich selbst isolierenden Personen sind keine Seltenheit.
Die Zunahme eines solchen Phänomens ist auch in Deutschland gerade nach den Ereignissen der vergangenen zwei Jahren und der heutigen Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit in der heutigen Welt unbestritten. Hierin finden wir aus meiner Sicht die NOTwendigkeit, einen vermehrten Beitrag zur individuellen und sozialen Wahrnehmungs-schulung zu leisten. Es geht darum, intelligent, bewusst und wissend mit den Fragen: Was will ich, was kann ich, warum bin ich hier? Was ist in der Situation gut und was nicht? umgehen zu können. Wie können also Fähigkeiten erworben werden, die dafür Sorge tragen, dass wir zunächst unser eigenes und dann das soziale Befinden nicht aus dem Blick verlieren?
Es braucht einen geklärten Blick für unsere Mitwelt und uns selbst, damit es gelingt der Sehnsucht nach Stabilität, Sicherheit und Integrität nachzugehen.
Es braucht die Fähigkeit, den Krisen unserer Zeit wach und spürend zu begegnen, um gestalterisch tätig werden zu können.
Es braucht Raum für die Entwicklung eines Selbstverständnisses, für ein ganzheitliches „Ich bin“ mit allen Stärken, Schwächen, Ängsten und Wünschen.
Es braucht die Möglichkeit der freien Entfaltung und Zeit für echte Erfahrungen.

Schaffen wir gemeinsam ein Bewusstsein für die Bereicherung, die sozial-emotionales Lernen für Schule bereithält.

Das sozial-emotionale Lernen (SEL) bietet kontinuierlich angewendet ein gesundes Fundament für angstfreies und positives Lernen und stärkt die persönlichen Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen auf ihren Leben- und Bildungsweg. Durch das Beleuchten der individuellen Stärken gelingt es nachhaltige Schritte auf dem individuellen biographischen Weg zu entwickeln und stärkt die Kinder und Jugendlichen so in ihrer beruflichen Entwicklung.
Sozial-emotionales Lernen stellt im Grunde einen Prozess mit fünf wesentlichen Teilaspekten dar und trägt dazu bei Schlüsselkompetenzen für ein gemeinwohlorientiertes Leben zu erwerben:

  1. Die Lernenden werden dazu befähigt, ihre Gefühlswelt wahrzunehmen, zu reflektieren. self-awareness
  2. Mit Hilfe der daraus entstehenden Erkenntnisse sind die Lernenden in der Lage, die eigene Innenwelt zu regulieren.
    self-management
  3. Der Fokus des eigenen Handelns wird auf positive Ziele gerichtet, gleichzeitig können
    Perspektiven anderer wertschätzend angenommen werden.
    social-awareness
  4. Dadurch werden positive Beziehungen aufgebaut und erhalten.
    relationship-skills
  5. Dies führt zu verantwortungsvollen Entscheidungen und zur konstruktiven Interaktion
    mit der Mitwelt.
    responsible decisions making

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